Freitag, 31. August 2012

La Serenissima

In der Hollywoodschaukel des Gartens eines wundervollen alten venezianischen Palazzos, sind einmal folgende Gedanken zu mir gekommen:


Venedig „La Serenissima“
(„Die Erlauchteste“) ist wie eine alte sterbende Hure, die es versteht, sich immer noch recht gut zu verkaufen. Es scheint sogar, dass sie sich umso besser verkauft, je älter sie wird.

Ja, sie versteht ihr Geschäft sehr gut! Sie infiziert dich, macht dich süchtig, dringt mit ihrem ganzen Wesen in dich ein, erfasst jede Zelle von dir. Sie macht dich in sie verliebt. Aber sie fordert dich auch heraus, zeigt sich abweisend, unfreundlich, spuckt dir vor die Füße – will wissen, ob du sie wirklich liebst. Dann sagst du vielleicht zu ihr: „Nie wieder komme ich zu dir zurück.“ Aber sie lacht nur, weiß es besser. Sie weiß, dass sie einzigartig ist, dass es keine gibt wie sie. Sie kann es sich leisten, nicht immer nur nett zu sein, diese Stadt aus Wasser und Stein.

Du denkst, wenn du sie erstmal verlassen hast, dann wirst du sie schon irgendwann vergessen. Du magst zurück gehen in deine Welt, weit weg von ihr. Und wenn du denkst, du hast sie vergessen, dann hörst du sie auf einmal nach dir rufen. Und du spürst wieder diesen Sog und wie sie dich zieht.

Vielleicht spürt sie auch das Mitgefühl, das du für die sterbende Stadt verspürst. Jeden Tag wird sie durch unzählige Fußtritte misshandelt. Menschenmassen quellen unentwegt in sie hinein und wieder aus ihr heraus. Tag für Tag für Tag für Tag... Der Wellenschlag der Motorboote höhlt ihr langsam die Fundamente aus, der hinterlassene Unrat nimmt ihr die Luft zum Atmen. Manchmal ist sie traurig und weint bittere Tränen, dann ist „acqua alta“ - Hochwasser. Sie weint um die Menschen, die sie einst so gern bewohnten und die sie nun nach und nach verlassen. Sie ziehen fort auf die Terraferma, das Festland. Weg von diesem überteuerten, zum Freilichtmuseum mutierten Venedig.

Venedig wollte das nicht. Es wollte so nicht werden. Die Menschen haben es zu dem gemacht, was es nun ist. Sie haben sich zu Zuhältern Venedigs gemacht und jetzt können sie nicht mehr damit umgehen. Sie haben ein Monster erschaffen und das lehrt sie nun das Fürchten.
Ich möchte sie trösten, berühren, streicheln, ganz sanft – die Zerbrechliche, die vielleicht viel zu lange schon dem Verfall trotzt. Ich möchte sie spüren lassen, wie wunderschön sie noch immer ist, obwohl ihre Schminke längst schon abbröckelt.

Ist diese „schwimmende Stadt“ nur eine Illusion, eine Fata Morgana? Man hat den Eindruck, sich in einem wundersamen Traum zu befinden. Er beginnt, sobald sie in Sichtweite kommt und endet, sobald man ihr den Rücken kehrt. Dann ist einem, als hätte man nur geträumt, von einer wundersamen Stadt voller Geheimnisse. Manchmal, wenn man sich ganz auf sie einlässt, erzählt sie einem Geschichten, aber hinter all ihre Geheimnisse wird man nicht kommen. Vieles bleibt im Verborgenen und das ist gut so. Man darf ihr nicht alle Geheimnisse entlocken, darf sie nicht entzaubern.

Wirst schon sehen, Venedig, irgendwann komm ich dann wirklich nicht mehr. Deinem Untergang werde ich nur einen kurzen Abschnitt lang beiwohnen. Du wirst mich überdauern. Du auf Stelzen stehende Stadt.



© Text und Bild von Petra Illenseer, August 2010




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Danke für deinen Kommentar! :-)