Venedig
„La Serenissima“
(„Die
Erlauchteste“) ist wie eine alte sterbende Hure, die es versteht, sich
immer noch recht gut zu verkaufen. Es scheint sogar, dass sie sich
umso besser verkauft, je älter sie wird.
Ja,
sie versteht ihr Geschäft sehr gut! Sie infiziert dich, macht
dich süchtig, dringt mit ihrem ganzen Wesen in dich ein, erfasst
jede Zelle von dir. Sie macht dich in sie verliebt. Aber sie fordert
dich auch heraus, zeigt sich abweisend, unfreundlich, spuckt dir vor
die Füße – will wissen, ob du sie wirklich liebst. Dann
sagst du vielleicht zu ihr: „Nie wieder komme ich zu dir zurück.“
Aber sie lacht nur, weiß es besser. Sie weiß, dass sie
einzigartig ist, dass es keine gibt wie sie. Sie kann es sich
leisten, nicht immer nur nett zu sein, diese Stadt aus Wasser und
Stein.
Du
denkst, wenn du sie erstmal verlassen hast, dann wirst du sie schon
irgendwann vergessen. Du magst zurück gehen in deine Welt, weit
weg von ihr. Und wenn du denkst, du hast sie vergessen, dann hörst
du sie auf einmal nach dir rufen. Und du spürst wieder diesen
Sog und wie sie dich zieht.
Vielleicht
spürt sie auch das Mitgefühl, das du für die sterbende
Stadt verspürst. Jeden Tag wird sie durch unzählige
Fußtritte misshandelt. Menschenmassen quellen unentwegt in sie
hinein und wieder aus ihr heraus. Tag für Tag für Tag für
Tag... Der Wellenschlag der Motorboote höhlt ihr langsam die
Fundamente aus, der hinterlassene Unrat nimmt ihr die Luft zum Atmen.
Manchmal ist sie traurig und weint bittere Tränen, dann ist
„acqua alta“ - Hochwasser. Sie weint um die Menschen, die sie
einst so gern bewohnten und die sie nun nach und nach verlassen. Sie
ziehen fort auf die Terraferma, das Festland. Weg von diesem
überteuerten, zum Freilichtmuseum mutierten Venedig.
Venedig
wollte das nicht. Es wollte so nicht werden. Die Menschen haben es zu
dem gemacht, was es nun ist. Sie haben sich zu Zuhältern
Venedigs gemacht und jetzt können sie nicht mehr damit umgehen.
Sie haben ein Monster erschaffen und das lehrt sie nun das Fürchten.
Ich
möchte sie trösten, berühren, streicheln, ganz sanft –
die Zerbrechliche, die vielleicht viel zu lange schon dem Verfall
trotzt. Ich möchte sie spüren lassen, wie wunderschön
sie noch immer ist, obwohl ihre Schminke längst schon
abbröckelt.
Ist
diese „schwimmende Stadt“ nur eine Illusion, eine Fata Morgana?
Man hat den Eindruck, sich in einem wundersamen Traum zu befinden. Er
beginnt, sobald sie in Sichtweite kommt und endet, sobald man ihr den
Rücken kehrt. Dann ist einem, als hätte man nur geträumt,
von einer wundersamen Stadt voller Geheimnisse. Manchmal, wenn man
sich ganz auf sie einlässt, erzählt sie einem Geschichten,
aber hinter all ihre Geheimnisse wird man nicht kommen. Vieles bleibt
im Verborgenen und das ist gut so. Man darf ihr nicht alle
Geheimnisse entlocken, darf sie nicht entzaubern.
Wirst
schon sehen, Venedig, irgendwann komm ich dann wirklich nicht mehr.
Deinem Untergang werde ich nur einen kurzen Abschnitt lang beiwohnen.
Du wirst mich überdauern. Du auf Stelzen stehende Stadt.
© Text und Bild von Petra Illenseer, August 2010